Studie

Dynastien und Vermögenspyramiden

Redaktion -

Ultrakurz-Weltgeschichte der Dynastie

Im Allgemeinen unterschätzt der Zeitgeist die Familie. Um mit dem Allgemeinsten zu beginnen: Unter Säugern, Vögeln und etlichen Fischen erweist sich die Familie als evolutionär höchst erfolgreiches Sozialmodell. Und auch beim Menschen hat sich das Prinzip Familie bisher als überaus anpassungsfähig erwiesen. Aber wie sieht es mit dem „Family Wealth“ aus?

In der langen Jäger- und Sammler-Zeit waren Vermögensunterschiede und Hierarchien zwischen Familien meist nie sonderlich stark ausgeprägt. Das änderte sich, als die Ausbreitung der landwirtschaftlichen Produktionsweise ein skalierbares Extraktionsregime ermöglichte. An privilegierten Orten, meist an Flüssen, bildeten sich mit der Zeit Städte, die sich häufiger zu staatsartigen Gebilden, manchmal auch zu Zentren von Imperien auswuchsen. Die uralte Sozialform Familie adaptierte sich geschmeidig an Hierarchie und Arbeitsteilung der neuen Riesengesellschaften. Familien, die sich bei der Extraktion der gesellschaftlichen Produktion besonders geschickt anstellten, erklommen die Spitzenränge sozialer Hierarchien. Bald setzten sich oben Dynastien fest – teils durchnummeriert wie im Fall Altägyptens mit seinem steinernen Monumentalgedächtnis. Extrem schnell verstanden am Nil die Eliten: Der Pharao bedarf einer funktionierenden Verwaltung in eigener Sache, die selbstverständlich auch die des Volkes ist. Die Pyramiden von Gizeh sind nur der sichtbarste Ausdruck der eminenten Leistungsfähigkeit einer vermögensverwaltenden, jenseitsversorgenden, mythenwebenden und auch nachfolgeregulierenden Einrichtung. Ohne Family Office an der Spitze der altägyptischen Vermögenspyramide könnten wir heute das letzte noch existierende klassische Weltwunder nicht bestaunen: Drei wirkliche Vermögenspyramiden, wahrlich für die Ewigkeit errichtet.

Aus der Geschichte wissen wir, dass die dynastische Nachfolgeregelung nicht immer harmonisch verlief. Robuste Hard-Power-Lösungen waren in Elitekreisen oft Mittel der Wahl, welche die Nächstenliebe rasch erkalten ließen. Jedoch spricht beim Blick auf die „Vermögensmehrung“ einiges dafür, dass die Kraft der Liebe aus der Einsicht in die Notwendigkeit, zwei Familien zum gegenseitigen Vorteil zusammenzuführen, einer Hard-Power-Strategie wenn möglich vorgezogen wurde.

Mit der Industrialisierung veränderte sich die Geschäftsbasis für Dynastien radikal. Staatliche Spitzenpositionen hatten in Europa bereits mit dem Bedeutungszuwachs des Handels für die Reichtumsakkumulation an Bedeutung verloren. Das setzte sich jetzt beschleunigt fort. Der Hauptzugang zu Chancen der ökonomischen Vermögensbildung erfolgte nun über die moderne Wirtschaft. Vermögen korrelierten immer weniger mit direkter politisch-militärischer Macht oder der Größe von Land. Die Vermögen bemaßen sich immer mehr an der unternehmerischen Fähigkeit, per Innovation zum Nutzenwachstum der Wirtschaft beizutragen.

Heute hat die klassische Familiendynastie bei der Besetzung der Schalthebel der politischen Macht in vielen modernen Staaten an Bedeutung verloren oder ausgedient, in den USA allerdings nicht. Anders bei Familienunternehmen und generell bei der Weitergabe von ökonomischem Vermögen: Hier dominiert das Prinzip Familie nach wie vor. Und deshalb sind an der Spitze der modernen Vermögenspyramiden auch noch regelmäßig Dynastien anzutreffen.

Forschung zur Dynastiebildung

Das Bestehen von Vermögensdynastien über längere Zeiträume bestätigen wissenschaftliche Untersuchungen, die sich immer zahlreicher diesem Themenkomplex zuwenden. Eine methodisch wegweisende Studie von Gregory Clark und Neil Cummins nutzte beispielsweise die Identifikationsvorteile seltener Nachnamen und wies für England und Wales eine starke Persistenz der Vermögenspositionen zwischen 1858 und 2012 (5 Generationen) nach. Guglielmo Barone and Sauro Mocetti berechneten mit den Methoden der Statistik, dass Zugehörigkeit zur Vermögenselite in Florenz im Jahr 1427 ein signifikanter Erklärungsfaktor für die Zugehörigkeit zur Vermögenselite dieser Stadt im Jahr 2011 ist.

Generell zeigt die einschlägige Forschung, dass die soziale Mobilität bei Spitzenvermögen – also Aufstiegs- und Abstiegsprozesse – auch langfristig relativ gering ist. Allerdings müssen hier Länderunterschiede beachtet werden. In den USA ist die soziale Mobilität bei Top-Vermögenden seit Beginn der Internetwirtschaft höher als in Deutschland oder anderen europäischen Ländern. Der säkulare IT-Boom hievte die weithin bekannten jungen Männer, die mit ihren Produkten die Welt eroberten, in die Top-Zonen der Reichtumslisten. Die soziale Mobilität bei Spitzenvermögen spiegelt also auch die Innovationskraft eines Wirtschaftsraums im globalen Maßstab wider.

Vermögenserhalt in Deutschland

In einem frischen Diskussionspapier („Top Wealth and Its Historical Origins“) präsentieren Daria Tisch and Emma Ischinsky vom Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Entwicklung von Spitzenvermögen in Deutschland seit 1912.

Tisch und Ischinsky analysierten die Daten von 1032 Top-Vermögen in Deutschland und eine Liste der 31 reichsten deutschen Familienverbände. Etwa die Hälfte der 1032 Spitzen-Vermögen basiert auf Unternehmen, die nach dem zweiten Weltkrieg gegründet worden sind. 368 der 1032 Vermögen standen im Zusammenhang mit Unternehmen, die bereits vor dem ersten Weltkrieg existierten. Diese Vermögen bezeichnen die Studienautorinnen als verwurzelte Vermögen. 8 Prozent der untersuchten Vermögen bzw. 82 Familien nahmen schon im Jahr 1912/14 einen vorderen Platz in der Vermögensrangliste ein. Legt man nicht die 1032, sondern die 500 größten Vermögen in Deutschland zugrunde, dann sind es 10 Prozent. Tisch und Ischinsky zeigen, dass die alten, verwurzelten Vermögen nicht sprunghaft nach oben schossen, sondern überwiegend durch Reichtumsakkumulation über mehrere Generationen hinweg. Zwar sind die verwurzelten Vermögen im Durchschnitt größer als neue Vermögen, dafür verteilen sie sich auf viele Erben. Deren Zahl ist jedoch auf Grundlage öffentlich zugänglicher Informationen meistens nicht verlässlich zu ermitteln. Was die Autorinnen dagegen ermitteln konnten: Unter verwurzelten Vermögen ist der Anteil Adliger (35%) weit höher als in der Gruppe der neuen Vermögen (1%). Räumlich betrachtet sind die Spitzenvermögen insbesondere in einer Achse der Verdichtung, die vom Rheinland über Nordwürttemberg nach Süddeutschland reicht, konzentriert. In Ostdeutschland sind sie kaum vertreten. 

Zwei Strategietypen für den Vermögenserhalt

Was sind die Erfolgsbedingungen für die intergenerationelle Vermögensgenese, was begünstigt Vermögensdynastien? Einen summarischen Überblick über einschlägige Strategien aus Sicht der Soziologie gibt ein Fachartikel des Direktors des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung Jens Beckert. Damit wir an dieser Stelle nicht auf die vielen Einzelstrategien eingehen müssen, simplifizieren wir, indem wir zwei Strategie-Kategorien unterscheiden. Erstens gesellschaftliche „Großstrategien“, die nicht unmittelbar auf das eigene Vermögen zielen. Zweitens „operative“ Strategien, die direkt eine Optimierung des Familienvermögens anstreben.

Das Wesentliche der Großstrategie ist, ökonomisches Kapital in Einfluss außerhalb der Wirtschaft umzumünzen. Das kann sich u.a. beziehen auf: Kultur, Normen und Ideologie, Bildung, Politik und Gesetzgebung, öffentliche Reputation oder auch soziale Vernetzung mit Eliten aus anderen Funktionsbereichen der Gesellschaft. Ein Multi-Asset-Ansatz der Nutzung verschiedenartiger gesellschaftlicher Einflusskanäle muss sich nicht direkt messbar in ökonomischen Vermögenzuwächsen niederschlagen. Indirekt erhöht er aber die Chancen hierfür schon.

Als operativ bezeichnen wir Strategien, deren direktes, ausdrückliches Ziel die langfristige Optimierung eines Familienvermögens über mehrere Generationen ist. Beckert zählt eine Reihe von Institutionen auf, unter anderem: Family Trust Companies; Family Foundations und Family Offices. Studien zufolge gehören Family Offices zu den am schnellsten wachsenden Organisationen im Wealth Management weltweit. Zwar schaut die einschlägige Forschung sehr stark auf die US-amerikanisch-britische Praxis. Aber Family Offices werden auch in Deutschland zunehmend genutzt, wie die Studie „Das Family Office 2030“ zeigt (siehe den Artikel zur Studie in dieser Ausgabe).

Liebe & Hass

Eine klassische Form des intergenerationellen Vermögensaufbaus sind Strategien der Netzwerk- und Allianzbildung, namentlich schicht-endogame Heiratsstrategien. In unserem Fall also: Hochvermögende heiraten Hochvermögende. Ist das in Deutschland auch der Fall?

Daria Tisch and Emma Ischinsky sind in ihrer Studie dieser Frage nachgegangen, wenngleich sie große Informationsdefizite beklagen. Dennoch können Tisch und Ischinsky zwei generelle Ergebnisse ihrer Netzwerkanalyse vorlegen: Erstens bestehen zwischen verwurzelten und neuen Vermögen viele Heiratsverbindungen. Das spricht gegen die These einer starken sozialen Abschließung der Altreichen gegenüber Neureichen. Zweitens schottet sich die Gesamtgruppe der Vermögenden in ihrem Heiratsverhalten durchaus gegen die weniger Vermögenden ab: Hochvermögende heiraten auch in Deutschland bevorzugt Hochvermögende.

Das braucht nicht die Folge einer operativen Strategie zu sein, die direkt auf einen konkreten Nutzen eines Falles zielt. Es reicht eine Großstrategie, die beispielsweise dafür sorgt, in sozial relativ geschlossene Beziehungs- oder Heiratsmärkte einzutreten. Etwa indem Eltern ihr Kind auf das richtige Internat schicken. Dadurch werden eher die Bedingungen der Möglichkeit gesteuert als vorab definierte konkrete Ergebnisse herbeigeführt.

Eine Heirat ist eine Zusammenfügung. Das Gegenprinzip wäre die Trennung, der Bruch, der unüberbrückbare Streit. Familienvermögen sind von einer Vielzahl möglicher Friktionen oder auch Brüche bedroht: Scheidung, schwere Eltern-Kind-Konflikte; Nachfolgekonflikte. Auch wenn die öffentliche Fokussierung auf das Thema Steuer den Staat oftmals in die Rolle des Gegenspielers großer Vermögen rückt, kann ein eskalierender Konflikt innerhalb der Familie eine noch größere Gefahr darstellen. Vermögende Familien versuchen diesen worst case als Möglichkeit zu antizipieren und dagegen Vorkehrungen zu treffen. Strategien hierfür sind beispielsweise Mission Statements, Familienerzählungen, die auf Identitätsbildung mit Sendungs- oder Pflichtbewusstsein zielen. Ein anderer Ansatz sind Family Constitutions, Familienverfassungen, die grundlegende Werte wie auch generelle Strategien schriftlich fixieren, um zu verhindern, dass sich Unternehmerfamilien intern ungeregelt zerstreiten.

Das Familienvermögen reagiert also gegenüber Gefühlen nicht neutral: Gelenkte Liebe kann es vergrößern, übermäßiger Hader gefährden, tiefer Hass ruinieren. Das lassen wir als Schlussbemerkung einfach mal so stehen.

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